Das Glockenprojekt der Nikolaikirche Leipzig

Newsletter Nr. 2 – Oktober 2017

Die Arbeit der Leipziger Glockengießerei G.A. Jauck

Die Nikolaikirche feierte im Jahr 2015 ihr 850-jähriges Bestehen. Nicht ganz so alt sind die Glocken, die derzeit in den Türmen der Kirche läuten und zur Andacht rufen, zum Gedenken mahnen, hohe Feste verkünden und uns sagen, was die Stunde geschlagen hat. Nun aber ist die Statik nicht mehr sicher, die Technik veraltet und der Klang schon lange keine Ohrenfreude mehr. Tragwerke und Glocken müssen dringend saniert werden.

 Wir wollen mit Ihnen gemeinsam ein neues Geläut weihen – zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution am 9. Oktober 2019. Helfen Sie mit – Ihre Unterstützung wird zu Klang, zu Botschaft, zu Erinnerung.

 Mit unserem Newsletter informieren wir Sie gerne jedes Quartal über den Fortschritt des Projektes und über Geschichten rund um die Glocken der Nikolaikirche.

Guten Tag, liebe Freunde der Nikolaikirche,

nur einmal wurde einer Leipziger Glockengießerei die Ehre zuteil, Glocken für die Nikolaikirche zu gießen. Das war 1869, die Firma hieß G.A. Jauck. Und wenn unser neues Geläut dann erklingen wird – am 09. Oktober 2019 – sind seit damals 150 Jahre vergangen. Wir wollten mehr über die Arbeit dieser Leipziger Glockengießerei erfahren und haben dazu jemanden befragt, der sich auskennt: den Glockensachverständigen Roy Kreß. Er fühlt sich nicht nur von Berufs wegen den Glocken verbunden und weiß viel zu erzählen.

Der Glockensachverständige Roy Kreß in seinem Büro im Haus der Kirche in Leipzig

Herr Kreß, was fasziniert Sie an der Leipziger Glockengießerei Jauck?
Die Firma Jauck war enorm leistungsfähig. Die haben insgesamt etwa 1000 Glocken gegossen und auch die meisten Glocken in der Stadt Leipzig gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Man darf nicht vergessen – mit Dampfkraft, mit Kerzen, es gab ja noch keinen Strom. Zudem ist die Glockengießerei an sich ein sehr kunstvolles Gewerk. Eine Glocke ist ein handgefertigtes Musikinstrument, jede klingt anders. Jaucks Glocken haben eine spezielle Rippenform, wodurch sich der Klang gegenüber heutigen Glocken sehr unterscheidet. Selbst auf fernen Reisen (z.B. in Namibia)  kann man heute noch mit etwas Glück Glocken aus der Jauck Werkstatt entdecken.

Es wurden ja mehrfach neue Geläute für die Nikolaikirche gegossen. Überliefert sind Glockengüsse von 1452, 1514 und 1634. Aber erst im Jahr 1869 wurde eine Leipziger Firma beauftragt. Wie sah es mit dem Glockengießer-Handwerk in Leipzig in den Jahrhunderten zuvor aus?
Die Glockengießer waren damals eher Wanderhandwerker. Die Glocken wurden meist vor Ort auf dem Kirchhof gegossen, so vermutlich auch die ersten Glocken der Nikolaikirche. Es war einfacher, die Materialien zur Kirche zu bringen und dort alles herzurichten, als so eine Glocke über eine weite Strecke zu transportieren. Die großen Glocken wogen auch damals schon einige Tonnen.

Außerdem war es ein recht feuriges Handwerk, im wahrsten Sinne des Wortes. Im wirtschaftlich aufblühenden Leipzig waren die Stadtväter besorgt, dass Brände auf die großen Lagerhäuser und Magazine der Messehändler übergreifen könnten. Einige Gießer gab es schon in Leipzig – aber vor den Toren der Stadt. Etwas südöstlich vom heutigen Wilhelm-Leuschner-Platz befand sich damals eine große Sandgrube für das Gießergewerk. Deren Ansehen stieg aber erst Ende des 18. Jahrhunderts. Da ließ  sich der Rat der Stadt dann sogar eine eigene „Ratsglockengießerei“ errichten.

Stadtplan um 1784

In dieser Zeit kam auch Andreas Georg Jauck nach Leipzig. Er hat recht schnell eine ansehnliche Firma aufgebaut, wurde im Jahr 1800 – nur zwei Jahre nach seiner Unternehmensgründung – bereits Obermeister der Innung. Und 1812 vertrauten die Stadtväter ihm auch ihre Ratsglockengießerei an – gegen 10 000 Taler.

Zur Völkerschlacht wurden, wie auch in späteren Kriegen, viele Glocken eingeschmolzen. Die Zeit danach war für Glockenhersteller eine gute Zeit, da wurden aus Kanonen auch wieder Glocken gefertigt. Andreas G. Jaucks Enkel war es dann, der für St. Nikolai das Vierergeläut gefertigt hat.

Die Glockengießerei Jauck war also ein Familienbetrieb und Andreas Georg Jauck der Begründer. Aber demnach kein Leipziger Urgestein?
Richtig, Jauck senior stammte aus Nürnberg und ging als junger Glockengießer-Geselle auf Wanderschaft. Die endete in Leipzig, da fand er nämlich eine feste Anstellung. Als sein Meister Gottfried Sieber starb, übernahm er die Geschäfte – und auch dessen Witwe. Das war damals durchaus üblich und der Frau war auch geholfen, denn es gab ja keine soziale Absicherung. Jaucks Sohn Gustav Adolf übernahm 1835 den väterlichen Betrieb.

Da bestand das Unternehmen schon 36 Jahre. Das waren also recht gute Voraussetzungen für den Sohn?
Nicht wirklich, denn der Vater verstarb, als Gustav Adolf noch nicht volljährig war und auch die nötigen Wanderjahre noch nicht absolviert hatte. Es gab Streitigkeiten mit der Innung, die Werkstatt wurde erst mal geschlossen. Der Start war also alles andere als einfach.

Interessant ist die Geschichte mit den Initialen. Gustav Adolf benutzte gern nur die Initialen G.A., die ja in umgekehrter Reihenfolge auch die seines Vaters Andreas Georg waren. Daraus resultierten Verwechslungen mit dem erfolgreichen Vater – wohl nicht ganz unbeabsichtigt. Erfolgreich wurde er schließlich auch, erweiterte das Unternehmen und baute ein zweites Standbein mit Gusserzeugnissen wie Feuerlöschgeräten und -spritzen auf. 1871 war er sogar Stadtverordneter der Stadt Leipzig. Drei seiner sieben Kinder arbeiteten in der Firma.

Die Glockengießerei um 1860

Das war dann die dritte Generation Jauck. Und wer war es, der 1869 für die Nikolaikirche die Glocken gegossen hat?
Das war Rudolf Georg Jauck, der mittlere der drei Söhne. Rudolf wurde wie sein Vater zeitig Glockengießermeister. Mit nur 22 Jahren leitete er bereits den Um- und Neuguss dieses großen Geläutes. Es war zugleich Rudolfs Meisterstück.

Und die beiden Brüder?

Die Gießhalle der Firma G. A

Alle drei Brüder übernahmen die Firma 1874 zusammen. Der Ältere, Richard, war eher der Kaufmann, viel unterwegs und sehr engagiert in der Stadtpolitik. Er akquirierte wichtige Aufträge für die Firma. Der jüngere Bruder Hugo verließ sie bereits nach vier Jahren wieder, vermutlich aus gesundheitlichen Gründen. Rudolf und Richard aber bauten die Produktion aus, die Feuerlöschgeräte wie auch die Glockengießerei, mit bald 50 Angestellten.

Die große Glocke für die Nikolaikirche aus Jaucks Werkstatt brachte 4055 kg auf die Waage, das Vierergeläut insgesamt 7855kg (laut Archiv-Unterlagen) War es das größte Werk der Fa. Jauck?
Nein, das größte Geläut der Firma wurde 1861 für Duderstadt gefertigt, ebenfalls mit vier Glocken und insgesamt sogar 10 100 kg. Allerdings muss das Geläut für die Nikolaikirche, welches definitiv das zweitgrößte war, eines der Höhepunkte in der bis dahin 71-jährigen Geschichte der Firma gewesen sein.

Auch war dieses Jahr quasi der Startpunkt der erfolgreichsten Zeit des Unternehmens. In den folgenden Jahren bis 1904 wurden in Leipzig 16 neue Vorstadtkirchen gebaut; 13 davon erhielten ein dreistimmiges Geläut von Jauck. Blicken wir auf das Gebiet des heutigen Leipzigs, wird es richtig eindrucksvoll: 83 Glocken auf 34 Türmen. Rudolf Jauck galt als „Der Glockengießer von Leipzig“.

Man kann sagen, die Stadt war damals mit Jauck-Glocken praktisch übersät. Leider nicht allzu lang, denn 1917 wurden für den Krieg sehr viele Glocken eingeschmolzen, auch drei des Jauck-Geläuts der Nikolaikirche. Die wurden 1925 ersetzt von der Gießerei Schilling in Apolda. Warum beauftragte man nicht wieder die Firma Jauck?
Da gab es die Firma Jauck nicht mehr. 1904 übergaben die Brüder die Firma an ihre Mitarbeiter Möllnitz und Schiffter. Warum, ist nicht wirklich klar. Die Familientradition endete jedenfalls – nach 106 Jahren. Und auch die Ära von Glocken mit dieser Rippenkonstruktion aus Leipzig. Die Nachfolger produzierten nur noch kleinere Schiffs- und Signalglocken. Somit musste sich auch die Nikolaikirche anderweitig umsehen.

Die heutige Glockenstraße. Zwischen dieser, der Nürnberger und der Sternwartenstraße war früher der Glockenplatz, Standort der städtischen Ratsglockengießerei und der Firma G.A. Jauck

Gibt es schon eine Planung für das neue Geläut der Nikolaikirche? Wer wird die neuen Glocken gießen?
Das ist noch nicht entschieden. Wir haben für dieses große, bedeutende Geläut auch einen hohen Anspruch. Die Läuteordnung muss neu festgelegt werden, also welche Glocke zu welchen Anlässen geläutet werden soll. Und für diese Zuordnung ist natürlich die Glockenzier maßgeblich zu gestalten. Das Geläut wird der Bedeutung der Nikolaikirche gerecht werden, wird mit seinen dann 8-Stimmen  vielfältiger und melodischer klingen als das bisherige. Das Ertönen der Großglocke wird etwas ganz Besonderes seinl Das dürfen Sie gespannt erwarten.

Im Gespräch mit Roy Kreß: Susan Künzel

Im nächsten Newsletter – kurz vor Weihnachten – wird es um die Türmer in der Nikolaikirche gehen. Welches waren ihre Aufgaben? Wie haben sie gelebt und damals wohl ihr Weihnachtsfest verbracht?

Weitere Informationen zum Glockenprojekt finden Sie unter: glockenprojekt.nikolaikirche.de