Das Glockenprojekt der Nikolaikirche Leipzig

Newsletter Nr. 10 – September 2019

Die Glocken hängen in den Türmen und wir öffnen die Türen – zum ersten großen Läuten

Guten Tag liebe Freunde der Nikolaikirche,

die Glocken sind geweiht und heil in die Türme eingezogen. In den nächsten Tagen werden sie probeweise angeschlagen, bevor zum Friedensgebet am 9. Oktober das volle Geläut erklingen wird. Auf diesen Tag haben wir seit über zwei Jahren mit Anstrengung und mit Ihrer großartigen Unterstützung hingearbeitet. Wir laden Sie ein, den 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution friedlich mit uns zu begehen.

Copyright Lutz Steuernagel

So ein Selfie hat nicht jeder

„Es ist so unglaublich, dass ich das erleben darf“, war immer wieder zu hören, als die Glocken am letzten Juniwochenende auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz einfuhren. Die neu Gegossenen übertrumpften die zwei Altehrwürdigen beim Glänzen in der Sonne. Pfarrer Stief stand zwischen ihnen auf dem Transporter und begrüßte sichtbar fröhlich wie auch aufgewühlt die Instrumente und die Gäste. Kinder sangen Lieder, der Posaunenchor musizierte, die Menschen bewunderten die Größe, die Glockenzier und die Einmaligkeit des Moments.

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Einige erlebten diesen Moment sogar zum zweiten Mal, sie würdigten die beiden Schilling-Glocken schon 1964 zu deren erster Weihe. Durften auch Sie, liebe Leser, bereits eine Glockenweihe miterleben, schreiben Sie uns, per Post, per Mail oder über unsere Kontaktseite.

Wir wollen gern ein paar Geschichten sammeln.

Copyright Lutz Steuernagel

„Unglaublich, das zu erleben“, hörte man auch von Verantwortlichen und Beteiligten. So von Floristin Birgit Steinhage, die in der Nacht zuvor Blumen bindend oben auf dem Glocken-Weihe-Gerüste saß. Zur Weihe selbst, wie die Vertreter von Zeitung, Funk und Fernsehen umfänglich berichtet haben. Und auch von denen, die dann Schlange standen am Podest, um wenigstens einmal die Hände auf die von der Sonne aufgeheizte Glockenhaut zu legen, die Bilder und Schriftzüge nachzufahren. Selfies mit einigen Tonnen Glockenbronze hat schließlich auch nicht jeder.

Das erste große Läuten zum Friedensgebet
Hören werden wir das Zusammenspiel der acht Instrumente erstmalig zum Friedensgebet am 9. Oktober, das 17 Uhr beginnt. An diesem Termin orientierte sich die gesamte Projektplanung.

Copyright Andreas H Birkigt

Das Friedensgebet steht unter dem Thema „Den Klang der Hoffnung spüren“. Die Osanna hat einen Nachklang von ca. 200 Sekunden, den man am Ende nur noch mit den Händen spüren kann. Ähnlich ist es auch mit unserem Engagement gegen Ausgrenzung und für Demokratie. Manchmal muss man genau hinhören, dann kann man es sehr wohl spüren. Davon wird im Friedensgebet zu reden sein. Und zu hören: Denn mittendrin werden sie zugeschaltet, die kleinste Agnus Dei zuerst, folgend die nächstgrößeren Sanctus, Benedictus, Pax, Credo, gefolgt von den beiden aufgearbeiteten Bestandsglocken Gloria und Kyrie, die schon 1989 für friedliches Aufbegehren läuteten. Und schließlich wird die fast sieben Tonnen schwere Osanna ihren tragenden Grundklang über Leipzigs Dächer senden.
Das MDR-Fernsehen wird live übertragen. „Und wir machen die Türen auf, damit es jeder hören kann“, sagt Superintendent Martin Henker, der auch an der Läuteordnung mitgewirkt hat.

Die Ordnung fürs Geläute
Ab Ende Oktober gilt die Läuteordnung. „Denn man kann ja nicht läuten wie man will“, Martin Henker erklärt die Grundregel:  „Geläutet wird, um zum Gottesdienst, zur Andacht und zum Gebet einzuladen. Und um ans Gebet zu erinnern.“ Zu den einzelnen Betzeiten erklingen unterschiedliche Glocken – morgens die Agnus Dei, mittags die Pax und abends die Credo. Nur am Samstagabend wird mit mehreren Glocken der Sonn- und Feiertag eingeläutet; und zwar mit denselben Glocken, die zum Gottesdienst am folgenden Tag rufen.

Für diesen Ruf geht es während der Fastenzeit etwas ruhiger zu als außerhalb dieser. Zum Friedensgebet erklingen andere Glocken als zu einem Gottesdienst zur Taufe, Hochzeit oder Trauer. „Unsere acht Glocken bieten uns viele Möglichkeiten, dem jeweiligen Anlass gerecht zu werden“, meint Martin Henker und gibt zu Bedenken: „Wir müssen es aber so regeln, dass es erkennbar wird.“

Das ganz große Konzert aller acht Glocken wird nur zu den großen Feiertagen zu hören sein. Mit einem siebenminütigen Läuten in voller Pracht feiern wir den ersten Christtag, den Ostersonntag und den Pfingstsonntag. Zur Sterbestunde Jesu Karfreitag 15 Uhr wird die Osanna erklingen – allein.

„Das ganze Prozedere festzulegen hat viele Stunden gedauert und richtig Arbeit gemacht“, fügt Martin Henker hinzu. „Es wurde zum Beispiel debattiert, ob der Neujahrstag nicht ein würdiger Anlass für die Osanna wäre. Jedoch wollen wir nicht zu allen Tagen und Anlässen läuten, die jemand für angemessen hält. Eine klare Linie ist wichtig; die hat schließlich der Kirchenvorstand festgelegt. Nun wollen wir schauen, wie sich diese Läuteordnung bewährt.“

Ein Testlauf
So ganz stimmt das mit dem erstmaligen Läuten am 9. Oktober nicht. Denn vorher muss getestet werden. Derzeit wird die Läutetechnik installiert, die Firma „Heidenauer Glockenläute- und Elektroanlagen GmbH“ arbeitet auf Hochtouren. Die Anlage wird elektronisch von einer präzisen Uhr gesteuert. Das Anläuten muss weich sein, das Läuten und Abbremsen schonend. Seilrad, Drahtseil, Kette, Ritzel und einiges mehr muss passen, die Dauer der Stromimpulse ist wichtig, jeder Zentimeter der Seile wirkt sich aus. Hören Sie mal genau hin in den nächsten Tagen – auf ein paar Glockentöne so ganz außer der Reihe.

Der Klang der Freiheit – im Film
Bereits am 1. Oktober können Sie sich einstimmen. Im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig sehen Sie 18 Uhr die Preview zum Film „Der Klang der Freiheit – Neue Glocken für St. Nikolai“, die am 8.10. im MDR ausgestrahlt wird. Christian Hans Schulz, Journalist, Autor und Regisseur, hat für diese MDR-Dokumentation das Glockenprojekt von den Planungen bis zum Einhub der Glocken in die Türme begleitet. Die Kunst der Glockenzier wie auch das Handwerk des Glockengießens werden beleuchtet – im badischen Neunkirchen, wo die fünf neuen Instrumente gegossen wurden, und im thüringischen Apolda, der Heimat unserer 1964 entstandenen Bestandsglocken und vieler weiterer, wie das letzte lebende Mitglied der Familie Schilling erzählt.

Nikolaiküster Matthias Müller, Copyright Andreas H Birkigt

Auf die Idee zu diesem Filmprojekt kam der Filmemacher oben auf den Nikolai-Kirchtürmen bei der Führung durch Pfarrer Bernhard Stief, bevor Schulzes Tochter in der Nikolaikirche konfirmiert wurde. Zu der Zeit war das Glockenprojekt bereits mitten in der Planung.

Die Rückblicke des Nikolaiküsters Matthias Müller auf den Herbst 1989 finden sich im Film wieder. Ebenso die Erzählungen weiterer bekannter Bürgerrechtler wie Gesine Oltmanns und Christian Dietrich. Damals abgelichtet hat sie der Fotograf Armin Wiech, seine Bilder gingen um die Welt, doch über die Ereignisse spricht er selbst jetzt zum ersten Mal.

Am 1.10. im Anschluss des Films im Zeitgeschichtlichen Forum gibt es eine Podiumsdiskussion mit Dr. Hans-Joachim Döring, Mitinitiator der Friedensgebete in der Nikolaikirche, Pfarrer der Nikolaikirche Bernhard Stief, Theologe Friedrich Magirius und Bürgerrechtlerin Gesine Oltmanns.

Am 8.10. sehen Sie den Film im MDR Fernsehen, Der Osten – Entdecke wo du lebst, 21:00 Uhr. Und ein Jahr in der MDR-Mediathek.

Weitere Informationen zum Glockenprojekt finden Sie unter: glockenprojekt.nikolaikirche.de
Wenn Sie uns schreiben wollen: Pfarramt, Nikolaikirchhof 3, 04109 Leipzig, E-Mail: pfarramt [at] nikolaikirche-leipzig [dot] de

Verfasser: Susan Künzel
Fotos: Andreas Birkigt, Lutz Steuernagel, Susan Künzel