Das Glockenprojekt der Nikolaikirche Leipzig
Newsletter Nr. 8 – April 2019
Jetzt wird es heiß
Guten Tag, liebe Freunde der Nikolaikirche,
mit über 1000 Grad Celsius fließt die glühende Glockenbronze durch den ihr zugewiesenen Weg und füllt langsam die Glockenform. Diese Form selbst sehen wir nicht, sie ist unter der aufgeschütteten Erde stabil eingeschlossen. Doch die Anspannung im Raum ist mit Händen zu greifen. Ähnlich aufregend gestaltet sich der Aushub der drei alten Glocken aus dem Nordturm der Nikolaikirche … Währenddessen nimmt ein einmaliges musikalisches Werk Gestalt an … und es wird weiter gebaut und geplant …
Heiße Momente in der Glockengießerei
Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden.
Frisch, Gesellen! seyd zur Hand.
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben!
Doch der Segen kommt von oben.
Wie in Friedrich Schillers Gedicht „Das Lied von der Glocke“ beschrieben rann den Glockengießern der Schweiß wirklich herunter, als etwa 7,5 Tonnen glühende Glockenbronze – ein Gemisch aus 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn – über den Gießkanal in die große Glockenform geleitet wurden. Live konnten das am 15. März im badischen Neunkirchen einige Gemeindemitglieder miterleben, als die große Glocke Osanna gegossen wurde. Es herrschte höchste Anspannung und Konzentration in der Werkstatt des Traditionsbetriebes im Odenwald. Albert Bachert, Glockengießer und Inhaber in bereits siebter Generation (und die achte arbeitet schon mit), hielt mit seiner Nervosität nicht hinterm Berg: „Jeder Glockenguss ist immer etwas Besonderes, auch nach all den Jahren. Es steckt ein Viertel Jahr Arbeit darin. Und eine so große Glocke ist eine besondere Herausforderung.“ Traditionell erbat der Meister Gottes Segen. Traditionell ist auch das gesamte Prozedere, Erfahrung ist hier das wichtigste Gut. „Der Guss verlief ruhig. Die Osanna hat es uns leicht gemacht, das ist nicht unbedingt normal bei solcher Größe“, resümiert das Team.
Zwei Wochen brauchte das riesige 6-Tonnen-Instrument zum Auskühlen, bevor es aus der Glockengrube geholt werden konnte. Am 5. April waren die fünf kleineren Schwester-Glocken mit 420 bis 1200 Kilogramm dran. Auch dieser Guss ist gut verlaufen. Wenn alle Glocken erkaltet sind, werden sie von ihrer Lehmhülle befreit, poliert und ihr Klang geprüft – vom Glockensachverständigen der Landeskirche Roy Kress. Mit dabei sein wird dann auch Günter Neubert, der den Glockenklang in einem einmaligen musikalischen Werk verarbeitet.
Glockenweihe-Musik für St. Nikolai
Eine ganz außergewöhnliche Musik hat Günter Neubert komponiert – für dieses ganz außergewöhnliche Ereignis. Und nur einmal wird diese Komposition in dieser Form zu hören sein, denn neben Trompeten, Posaunen und Pauken werden die acht Glocken der Nikolaikirche einbezogen, und die stehen nur zu ihrer Weihe am 29. Juni auf dem Nikolaikirchhof zur Verfügung. Vier Schlagzeuger positionieren sich dann zwischen ihnen und bespielen diese mit großen Hartgummi-Schlägeln. Angestimmt wird die erste Zeile des Chorals „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ von Philipp Nikolai aus dem Jahre 1599. „Das war eine super Entdeckung für mich“, sagt Günter Neubert und die Augen des erfahrenen Leipziger Komponisten blitzen auf. „Die Stimmung der Glocken g-h-d-e-fis-g-a-h weckte in mir diese Idee, denn mit diesen acht Tönen kann man die Choralzeile komplett intonieren. Und außerdem passt der Text ‚Wachet auf …’ eindrücklich zu Geschichte und Bedeutung der Nikolaikirche.“ Und verschmitzt ergänzt er: „Charmant ist zudem, dass sich die Namen von Kirche und Verfasser treffen, auch wenn es da keine tatsächliche Verbindung gibt.“
Bekannt ist Günter Neubert vielen durch sein musikalisches Märchen Weihnachtsgans Auguste, unzählige Male aufgeführt seit 1973, oder auch durch seine Choral-Kantate „Eine feste Burg ist unser Gott“, die zusammen mit Werken von Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy im Juni 2015 das Bachfest einläutete. Neubert selbst freut sich besonders, nach seinen bedeutenden Oratorien für Hannover Laudate Ninive, für die 800-Jahr-Feier in Dresden und zum Jahrestag des Westfälischen Friedens in Münster nun endlich auch ein vergleichbar repräsentatives Werk für Leipzig umsetzen zu dürfen.
Fertig ist das Werk schon längst – im Kopf des Künstlers gereift und in vielen Monaten zu Papier und in den Laptop gebracht. Die längere Zeit hat es gedauert, die Partitur für die Vervielfältigung zu übertragen. Und Glocken der gleichen Gießerei zu testen, wie sie in veränderter Umgebung bespielt werden könnten, welches Material für die Schlägel geeignet ist, wie viel Nachhall ins Stück passt. Im Moment fiebert er wie alle Beteiligten dem Ergebnis des Glockengusses entgegen. „Davon hängt alles ab.“ Und deswegen wird auch Neubert bald in die Glockengießerei Bachert fahren und genau hinhören.
Glockenlose Glockentürme
Während am 5. April in der Glockengießerei heißes Metall die Gemüter erhitzt, werden in Leipzig bei eher kühlen Temperaturen die drei Bestandsglocken aus dem Nordturm der Kirche geholt. Gefroren haben die Verantwortlichen sicher nicht, denn viel Fingerspitzengefühl war nötig, vor allem die Größte mit über 2300 Kilogramm durch die schmalen Schallfenster zu manövrieren. Unten angekommen wurden alle drei auf Klang und Unversehrtheit geprüft.
Die kleinste Glocke kommt nun in ein kirchliches Depot, denn sie hat für das Gesamtgeläut einen zu tief stehenden Ton. Die zwei Glocken von 1964 werden zu den sechs Neuen nach Neunkirchen gebracht, um ihr Zusammenspiel zu prüfen und anzupassen. In den Türmen aber wird nun bis zum Einzug der Neuen intensiv an den Glockenstühlen gebaut.
Künstler in der Grube
Carsten Theumer, der die Glockenzier der Osanna entworfen hatte und dann zwei Tage auf wackeligen Bohlen in der Glockengrube stand, um die vielen Wachsbilder aufzubringen, konnte schon einen Blick auf sein fertiges Werk werfen.
Er hatte den Glockenguss Mitte März mit großen Augen verfolgt und reiste gleich wieder ins Badische, nachdem die Glocke aus der Grube geholt wurde. Enthusiastisch berichtet er: „Sie ist noch mit einer dünnen, festen und hart eingebrannten Lehmschicht behaftet. Nur am unteren Rand ist einiges frei und eine ganz feine Gusshaut sichtbar. Es ist ganz fein abgeformt, mit allen Details, selbst feinste Ritzer im Wachs sind zu sehen – ein super Guss. Ich war ganz aus dem Häuschen!“ Der Juniorchef der Gießerei – sein Vorname ist übrigens Nicolai – schenkte Theumer mit einem Klöppel, den er gerade so tragen konnte, einen kleinen ersten Anschlag.
Auf das Ergebnis muss Tobias-David Albert, der die Zierung für die anderen fünf Glocken entworfen und umgesetzt hat, noch etwas warten. Denn auch sie brauchen nach ihrem Guss am 5. April über eine Woche zum Abkühlen. Albert ist Schriftgestalter und kreierte kalligrafische Bilder aus dem Text der Seligpreisungen. „Schrift kann auch gleichzeitig ein Bild sein. Man muss sich aber intensiver damit auseinander setzen, mit dem Medium und dem Inhalt. Es geht um Verbindungen, wie sie Menschen miteinander eingehen, um Spannungen, wie sie Menschen empfinden und wie sie auch in einer Kirchgemeinde lebendig gelebt werden können.“ Noch viel mehr steckt hinter den feinen Pinselstrichen des Künstlers, der schon vorher Gestaltungen für Glocken in Leipzigs Umkreis gefertigt hat. „Heute sind Schriften meist vorgefertigt, mir geht es aber um die besondere Beziehung zum Medium. Ich wollte möglichst lange im Schreibprozess bleiben, habe auch die Vergrößerung noch mit einem Pinsel nachgeschrieben, so die Lebendigkeit erhalten.“ Erst am Ende hat er es digitalisiert, um es der Rundung der Glockenhaut anzupassen. Von der Gießerei bekam er dafür die Rippe, also ein Abbild der äußeren Form geschickt. „Es ist eine besondere Herausforderung, die Schrift vom Zweidimensionalen ins Dreidimensionale zu bringen.“
Alberts handgeschriebene Vorlagen für die Zier der fünf neuen Glocken
Eine ruhige Hand braucht Albert zum Aufbringen der Wachs-Zier auf die trennende Talgschicht der falschen Glocke.
Wachsbuchstaben auf Rindertalg – auf der Glocke Credo
Künstler Tobias-David Albert
In Neunkirchen hat Albert dann mit Unterstützung der Ziererin Frau Weiß in drei Tagen die Zier auf die fünf Glocken aufgetragen. „Das war neu für mich, bisher hatte ich eher im Hintergrund gewirkt. Nun war das fast der schönste Moment, mit diesen Materialien zu arbeiten – der feine Lehm und der Kleber aus bestimmten Harzen, mit dem die Wachsbuchstaben aufgesetzt werden“.
Und fasziniert hat beide Künstler gleichermaßen, wie in der Werkstatt grobes schweres Gewerk direkt neben den feinen künstlerischen Arbeiten stattfindet, wie diese verschiedenen Stufen, die es zur Herstellung einer Glocke braucht, zusammen an einem Ort ineinander greifen.
DANKE
Das haben wir groß an den Bauzaun am Kirchturm gehängt. Denn ein großes Danke gebührt allen Spenderinnen und Spendern, die dieses großartige Projekt möglich gemacht haben und noch möglich machen. Und auch und besonders der Sparkassenstiftung und Sparkasse Leipzig, die im Rahmen unserer Aktion „Aus 1 mach 3“ auf jeden gespendeten Euro noch zwei oben drauf gelegt und so ein sehr entscheidenden Beitrag zur erfolgreichen Finanzierung beigetragen haben. Ende Januar haben wir diese Aktion mit einem finalen Gong beendet.
Im nächsten Newsletter können wir kund tun, ob die Glocken gelungen sind, ob ihr Klang dem Erwarteten entspricht. Auch geben wir einen Ausblick auf die letzten Arbeitsschritte und lassen Sie wissen, worauf Sie sich am Festwochenende vom 28.-30. Juni freuen dürfen.
Weitere Informationen zum Glockenprojekt finden Sie unter: glockenprojekt.nikolaikirche.de
Verfasser: Susan Künzel
Fotos: Andreas Birkigt, Carsten Theumer, Tobias-David Albert, Pfarramt, Susan Künzel